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Mikroplastik aus Leipzig?

Die Problematik rund um Mikroplastik hat in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, nicht zuletzt durch die Debatte zum Mikroplastikverbot in der EU.

Deutschland ist europaweiter Spitzenreiter im Plastikkonsum, weshalb auch der BUND absoluten Handlungsbedarf im Kampf gegen die Plastikkrise sieht.

Doch was ist Mikroplastik überhaupt, welche Risiken sind damit verbunden und wie kann die Nutzung von Mehrweg dabei helfen, dass weniger Plastik in unsere Umwelt gelangt?

Dazu haben wir zwei Expert*innen befragt: Annika Jahnke und Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

Was ist Mikroplastik?

Annika Darunter versteht man Kunststoffpartikel mit Größen im Bereich von 1 Mikrometer und 5 Millimeter, die in primäres und sekundäres Mikroplastik unterteilt werden. Primär bedeutet, dass es in dieser Größe und Form zu einem bestimmten Zweck hergestellt und z.B. in Kosmetika* eingesetzt wird. Aus größeren Plastikgegenständen wie beispielsweise Einwegbechern werden durch Umwelteinflüsse, Sonnenstrahlung und Verwitterung kleinere Plastikteilchen freigesetzt, die als sekundäres Mikroplastik bezeichnet werden.

*Ergänzung: Der aktuelle Beschluss der EU-Kommission sieht vor, dass ab sofort beispielsweise keine Kosmetikprodukte mit Mikroplastik oder Produkte mit losem Glitter hergestellt und verkauft werden dürfen. In den kommenden Jahren sollen schrittweise weitere Verbote für Produkte, wie Granulatmaterial für Sportplätze oder Pflanzenschutzmittel mit Mikroplastik, folgen. Damit soll europaweit die Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt reduziert werden.

Wie lang dauert die Zersetzung zu Mikroplastik?

Annika Es gibt verschiedene Abschätzungen dazu, die Spannweiten sind sehr groß. Teilweise kann es demnach bis zu tausend Jahre dauern, je nachdem, um welchen Gegenstand es geht und welchen Umwelteinflüssen das Plastik ausgesetzt ist. Es lässt sich schwer vorhersagen, weil der Zeitraum von hunderten Jahren zu lang ist, um die entsprechenden Experimente durchzuführen.

Wie gelangt das Plastik überhaupt in die Umwelt und Meere?

Christian Allgemein durch Müll, der am Abfallsystem vorbeigeht, also auf der Straße oder in der Kanalisation landet. Wir hier in Deutschland haben ein gut funktionierendes Abfallsystem, da findet man verhältnismäßig wenig Müll auf der Straße, wenn doch, dann oft absichtlich weggeworfen. Das wird als Littering bezeichnet. Viele ärmere Länder, z. B. in Asien und Afrika haben kein ausreichendes Abfallmanagement und Müll landet am Straßenrand, in Flüssen oder wird auch direkt an Stränden abgekippt. Eine weitere Ursache könnten katastrophale Ereignisse wie z. B. Hochwasser sein, wo viel Material, unter anderem auch Plastik, mobilisiert wird.

Wenn unser Abfallsystem in Deutschland relativ gut funktioniert, heißt das, die Plastikverschmutzung ist bei uns nicht so stark ausgeprägt?

Christian Wir haben ein geschlossenes Abfallsystem, sodass nicht so viel in der Umwelt landet, abgesehen vom Littering und unabsichtlichen Verlusten. Aber wir können uns nicht zurücklehnen, es gibt immer Raum für Verbesserungen. Dort wo es sinnvoll ist, sollten unbedingt Einweg- durch Mehrwegprodukte ersetzt werden. Fast die Hälfte der jährlich produzierten Produkte sind für den einmaligen Gebrauch und werden dann entsorgt.

Wie kommt dann das (Mikro-)Plastik von Leipzig in die Meere?

Christian Der Haupttransport vom Land ins Meer geschieht durch die Flüsse*. Durch Leipzig fließen auch einige kleinere Flüsse, wodurch Leipzig indirekt an das Meer gebunden ist. Wir wissen, dass in unseren Flüssen Plastik schwimmt. Vieles davon kommt aus dem Abwasser. Auch wenn die Kläranlagen das meiste zurückhalten, geht ein kleiner Teil trotzdem vorbei. Bei Starkregen kann die Kanalisation nicht das komplette Wasser aufnehmen und es gelangt so auch verdünntes, ungeklärtes Abwasser in die Flüsse.

Was wir nicht wissen, ist, wie lange der Transport bis ins Meer dauert, da einiges immer wieder an den Ufern akkumuliert, also sozusagen „hängen bleibt“. Es kann einige Jahre dauern, bis das Plastik im Meer ankommt. Selbst wenn wir es schaffen, den Eintrag bald zu stoppen, kann der Austrag vom Fluss ins Meer – aufgrund dieser zeitlichen Verzögerung – noch über Jahrzehnte andauern.

*Ergänzung: Laut einer Studie (Kaandorp et al., 2023) werden global betrachtet jährlich ca. 0,8 bis 2,4 Mio Tonnen Plastik von den Flüssen ins Meer transportiert.

Welche Auswirkungen hat Plastik auf unsere Ökosysteme und Lebewesen?

Annika Ein Kunststoffgegenstand im Meer kann als Lebensraum gesehen werden, denn auf ihm bildet sich in der Regel eine Lebensgemeinschaft aus, ein sogenannter Biofilm (zu sehen auf dem Bild ganz oben). Nun könnte man meinen: Ein neuer Lebensraum ist doch gut für die Lebewesen! Aber andererseits greift man in ein Ökosystem ein, das Millionen Jahre besteht und verändert es.

Mikroplastik kann von den Lebewesen aufgenommen werden und möglicherweise im Körper verbleiben. Selbst wenn es nur gefressen und wieder ausgeschieden wird, sind teils negative Auswirkungen auf die Energiebilanz der Tiere gezeigt worden. Denn diese nehmen dadurch weniger Nahrung auf, pflanzen sich weniger fort oder wachsen langsamer. Gerade für geschützte Arten hat das große Auswirkungen.

Plastikpartikel im Körper können eine Entzündungsreaktion hervorrufen. Unwahrscheinlich ist, dass so Chemikalien vom Organismus aufgenommen werden, anders aber möglicherweise Krankheitserreger, die an den Partikeln haften.

Aus jedem Plastikgegenstand können über die Zeit Chemikalien abgegeben werden und viele kleine Plastikpartikel freigesetzt werden. Deshalb ist es wichtig, dass man jetzt aktiv wird und den Eintrag in die Umwelt so schnell und so weit wie möglich begrenzt.

Was muss eurer Meinung nach getan werden?

Christian Wir sollten vermeiden, dass Plastik in die Umwelt gelangt. Das kann auf vielen Wegen getan werden. Wir können einfach weniger benutzen, weniger Einweg – mehr Mehrweg. Mehr Recycling.

Annika Wir sollten an der Quelle ansetzen, also weniger (Mikro-)Plastik produzieren und die Kreisläufe schließen.

Auf dem Markt sind in den letzten Jahren viele Verpackungsprodukte aus alternativen Stoffen, zum Beispiel auf Maismehlbasis, aufgekommen. Was ist eure Einschätzung dazu?

Christian Das wird auch oft kritisch gesehen, weil es hier zu einem sogenannten Verlagerungseffekt kommt. Ein Beispiel: Man spart zwar das Erdöl für die Produktion von Plastik und nutzt dafür ein Produkt aus Bambus, der möglicherweise nicht nachhaltig angebaut wird und sehr lange Transportwege nach Deutschland mit hohem CO2-Ausstoß hat. Man löst damit zwar ein Problem, wirft aber ein neues auf.

Annika Viele sogenannte Verbundmaterialien weisen Beschichtungen auf, die fest miteinander verbunden sind, wodurch diese praktisch unmöglich zu recyceln sind.

Fazit

Wie Annika und Christian sind auch wir mit dem Projekt „Allerlei to go“ der Meinung, dass der Schutz unserer Meere bereits an Land beginnt und sehen die Nutzung von Mehrweg statt Einweg als einen von vielen Lösungsansätzen. Denn mit 37 kg Verpackungsmüll aus Plastik pro Person im Jahr und der Zunahme von Einwegprodukten, trägt Deutschland ebenso zu einem starken Müllaufkommen bei.*

Annika und Christian nutzen auch selbst Mehrweg im Alltag, ob Mehrwegflasche oder Thermoskanne mit Kaffee für die Arbeit, das Mittagessen in der Mehrweg-Lunchbox oder das Nutzen von Pfandsystemen in der Mensa, wenn für das Essen vor Ort mal die Zeit nicht reicht.

*Quelle: BUND (Webseite: https://www.bund.net/meere/muell-im-meer/)